Bad Beat Stories – sie verfolgen dich überall
- Christoph

- vor 3 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Ich bin also in dieser Stadt.
In jener Stadt, in der sich gerade alles trifft, was Rang, Namen und ein halbwegs solides Bankroll-Management hat. Zumindest die halbe Pokerwelt. Die andere Hälfte sitzt vermutlich auf den Bahamas, diskutiert über ICM bei einem Drink mit zu viel Eis und zu wenig Geschmack und behauptet, sie hätten das Turnier eh nie spielen wollen.
Hier aber – in dieser europäischen Schönheit mit ihren gut (ich glaub so 1.3 Mio) Seelen – reicht ein Schritt vor die Tür, ein Atemzug Stadtluft, und du weißt sofort:
Du bist nicht mehr im Alltag.
Du bist mitten im Turnier.
Denn hier liegt etwas in der Luft. Kein Smog. Kein Parfum. Kein Glühweinduft allein.
Es sind Bad Beat Stories.
Sie sind überall.
Wie Schneeflocken – nur wärmer, lauter und mit deutlich mehr Meinung.
Sie treiben durch Gassen, setzen sich zu dir an den Tisch, stellen sich ungefragt neben dich, als wären sie seit Level eins Teil deiner Table-Draws.
Du hörst sie, noch bevor du sie siehst.
Ich gehe durch die Stadt, lasse mich treiben, irgendwo zwischen Lichterketten, Stimmengewirr und diesem leicht überdrehten Dezembergefühl – und plötzlich ist sie da. Diese Stimme.
Dieses ganz spezielle Seufzen.
Das Seufzen eines Menschen, der alles richtig gemacht hat.
„Ich hab ihn gehabt“, sagt jemand hinter mir.
Nicht laut.
Nicht leise.
So, wie man es sagt, wenn man innerlich schon fünfmal replayed hat.
Pocket Tens gegen Ass-König. Preflop alles rein. Standard. Sauber.
Und dann der River.
Ein einziger König.
Ein verdammter One-Outer.
Man hört es nicht nur – man fühlt es.
Wie jemand, der den Turn schon gefeiert hat, den River aber noch unterschätzt hat.
„Was für ein Fish“, murmelt er, während er in etwas Süßes beißt, das ihm in diesem Moment trotzdem nicht schmeckt.
Ich gehe weiter, nicke innerlich und denke mir:
Ja. Willkommen.
Der Poker-Gott liebt keine Logik. Er liebt Timing.
Ein paar Straßen später, völlig anderer Rahmen, gleiche Energie.
Glänzende Böden. Glas. Luxus. Marken, die mehr kosten als ein durchschnittlicher Buy-in.
Und genau dort, zwischen Spiegelungen und Rolltreppen, steht wieder jemand, der gerade ausgecasht worden ist – emotional zumindest.
„Das Turnier wäre meins gewesen“, sagt er.
Nicht aggressiv.
Eher müde.
So, wie man es sagt, wenn man weiß, dass man es nie beweisen kann.
Fünf Plätze vor ITM.
Bubble-Bereich.
Der Punkt, an dem Mathematik, Hoffnung und Selbstbetrug gleichzeitig am Tisch sitzen.
„Kannst nix machen“, sagt der andere.
Und dieser Satz ist vielleicht der ehrlichste im ganzen Pokeruniversum.
Du kannst alles richtig spielen.
Ranges, Position, Stackgrößen, ICM – und trotzdem geht der Pot woanders hin.
Weil Poker kein Wunschkonzert ist.
Sondern ein Langzeitspiel mit sehr kurzen Momenten maximaler Ungerechtigkeit.
Ich steige später in die Metro.
Unter der Erde.
Dort, wo Menschen sonst schweigen.
Nicht diese Woche.
Mir gegenüber zwei Jungs. Hoodies. Rucksäcke. Augenringe auf Turnierniveau.
Der eine erklärt dem anderen seine Hand, als würde er sie gleich im Solver eingeben.
Nut-Flush-Draw. Zwei Overcards.
Flop-Push.
Mathematisch sauber.
GTO-konform.
Kein Leak.
Der Call kommt trotzdem.
Bottom Pair.
Kein Backdoor. Kein Plan. Nur Hoffnung.
Turn. Hit.
River. Hit.
Zwei Pair.
„Wie… WARUM?“
Diese Frage kennt jeder.
Nicht nur im Poker.
Die Antwort kommt ruhig:
„Weil’s der River ist.“
Und unter der Erde gelten sowieso andere Gesetze.
Ich lächle.
Manchmal fühlt sich Glück an wie ein Zug:
Du weißt, dass er kommt – nur nicht für wen.
Selbst mein Rückzugsort bleibt nicht verschont. Mein Café.
Der hellblaue Fauteuil.
Cappuccino. Ruhe. Beobachten.
Am Nebentisch ein älterer Herr.
Espresso. Ruhige Stimme.
„Früher hab ich Schach gespielt“, sagt er.
„Da wusste man wenigstens, warum man verliert.“
Kurze Pause.
„Heute bad-beaten sie dich überall.“
Ich lehne mich zurück und denke mir:
Ja. Poker hört nicht am Tisch auf.
Es geht mit dir raus.
In die Stadt.
Ins Leben.
Manchmal wirst du gecheck-raised, ohne dass jemand wirklich beteiligt ist.
Manchmal spielst du perfekt – und verlierst trotzdem.
Und manchmal bist du einfach nur zur falschen Zeit am River.
Aber morgen?
Morgen wird neu gemischt. Und vielleicht…
Ich sag wie´s ist:
läuft der Turn diesmal für dich.



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