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Wurstsemmel mit Nebenwirkung

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Ich war durstig.

Nicht philosophisch durstig, nicht existenziell – einfach ganz banal: Durst.

Also auf dem Weg in den Supermarkt, Kopf schon beim Getränkeregal, Gedanken irgendwo zwischen Mineralwasser und „hoffentlich ist nicht viel los“.


Vor dem Eingang sitzt eine junge Frau.

Nicht einfach „sitzt“, sondern so, wie man das nennt, wenn die Schienbeine am Boden sind und das Gesäß auf den Waden ruht.

Sie schaut auf, lächelt freundlich, sagt „Hallo“ – und dann ruhig:

dass sie Hunger hat.


Und ja, ich gebe es zu: Mein innerer Christoph war sofort schneller als mein Herz.

Diese automatische Abkürzung im Kopf.

Diese Stimme, die sagt: Aha. Betteln. Gleich um die Ecke wartet sicher jemand, der kassiert.

Kein weiterer Blick. Kein Wort.

Ich gehe rein.

Durst!


An der Kassa vor mir eine Frau, Anfang vierzig vielleicht. Blonde Haare, bayerischer Einschlag, unverkennbar.

Sie plaudert laut und herzlich mit dem Kassierer, beide wünschen sich einen schönen Advent. Sie hat nicht viel dabei. Ein kleines Sackerl, offensichtlich von der Fleischtheke.

Der Kassierer sagt: „Noch Mahlzeit.“

Sie antwortet: „Ist nicht für mich, aber danke.“

Ich zahle, gehe hinaus – und bleibe stehen.

Die Frau steht jetzt vor der jungen, knienden Frau.

Reicht ihr das Sackerl und sagt nur ein Wort:

„Mahlzeit.“


Die junge Frau sagt nichts.

Sie schaut.

Und dieses Gesicht – ich weiß gar nicht, wie man das beschreibt, ohne kitschig zu werden.

Dankbarkeit reicht nicht.

Erleichterung auch nicht.

Es war dieses Strahlen, das man nicht spielt, nicht übt, nicht vortäuscht.

Eines von der Sorte, die man nicht mehr vergisst.


Sie reißt das Sackerl auf und isst die Wurstsemmel.

So schnell, dass man kaum hinschauen kann.

Ich bleibe ein paar Meter entfernt stehen, wie angewurzelt.

Die bayerische Frau bemerkt mich, schaut mich an und fragt:

„Was is?“


Und sagt dann, ganz trocken:

„Nächstenliebe.“

In dem Moment ist die Semmel auch schon weg.

Nicht aus Gier.

Aus Hunger.


Und jetzt kommt der Teil, der mich selbst überrascht hat:

Ich habe mich nicht schlecht gefühlt.

Nicht beschämt.

Nicht moralisch ertappt.


Ich bin einfach umgedreht.

Ohne ein Wort.

Bin wieder in den Supermarkt rein.

Und kam mit einer Leberkässemmel raus.

Groß. Sehr groß.


Man kann sich vorstellen, was passiert ist.

Sie war genauso schnell weg wie die Wurstsemmel davor.


Und warum ich das gemacht habe?

Nicht, weil ich plötzlich ein besserer Mensch war oder bin.

Sondern weil mir klar wurde, wie schnell wir urteilen.

Wie reflexhaft wir Schubladen aufziehen.

Wie viele Vorurteile wir alle mit uns herumschleppen – oft völlig ungerechtfertigt.


Nur weil es die andere Seite auch gibt, die das Betteln professionalisiert hat heißt das noch lange nichts.


Ich bin dann noch ein paar Minuten mit der Frau aus Bayern gegangen.

Wir hatten ein Stück denselben Weg.

Haben ein bisschen geplaudert, belanglos, freundlich, leicht.


Dann sagte sie:

„Ich muss da lang. Sie sind eine gute Seele“

Und ich sagte:

„Ich eine gute Seele, das ist ein Scherz. Und ich muss da lang“


Ich sag, wie’s ist.

Ich ging weiter. Aber deutlich reicher.



 
 
 

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