Wie Linsen beruhigen und verbinden
- Christoph

- vor 5 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt Momente, da ist der Kopf einfach zu laut. Gedanken schwirren wie ein schlecht gebuchter Werbespot, der ununterbrochen im Loop läuft – ohne Pointe, ohne dramaturgische Kurve.
Und genau dann passiert etwas Eigenartiges: Ich greife zur Kamera. Nicht, weil ich es muss, sondern weil diese kleine Maschine mit ihren Linsen – egal ob ein 85mm 1.2, ein 24–70 oder ein wuchtiges Tele – etwas mit mir macht. Sie erdet mich. Sie dämpft die Lautstärke da oben. Sie schiebt mich in eine andere Welt, ganz sanft, aber zuverlässig wie ein gut gesetzter Claim.
Es klingt vielleicht komisch, aber Linsen beruhigen.
Sie fokussieren nicht nur das Bild, sondern auch mich.
Sie holen mich raus aus dem Rauschen des Alltags hinein in eine Welt, die klarer wirkt. Präziser. Weniger chaotisch als das endlose Stimmengewirr der täglichen Aufgaben. Vielleicht, weil Fotografie grundsätzlich immer etwas mit Sehen zu tun hat. Und damit auch mit Wahrnehmen. Mit Reduktion. Ein Ausschnitt statt alles auf einmal – ein Konzept, das sich übrigens auch viele Markenstrategien abschauen könnten.
Am meisten liebe ich das Fotografieren von Menschen. Nicht, weil ich voyeuristisch veranlagt wäre – das Gegenteil ist der Fall. Es geht mir um Gesichter. Um Gesten. Um Freude, Unsicherheit, Leuchten, Überraschung, Eitelkeit, Natürlichkeit. Es geht um diese klitzekleinen Momente, die man sonst gar nicht wahrnimmt. Und wenn man sie sieht, dann spürt man sie. Jede Falte, jede hochgezogene Augenbraue, jede Art, wie jemand eine Tasse hält oder wie das Lächeln nur halb entsteht – all das erzählt Geschichten, die man nie mit Worten eingefangen hätte.
Banal? Vielleicht. Abgedroschen? Mag sein. Aber trotzdem stimmt es: Jedes Gesicht ist ein eigenes Gesicht. Und jenseits der Floskel steckt etwas Tiefes darin. Denn Fotografie ist tatsächlich ein Spiegel – der Eitelkeit, der Persönlichkeit, der Mentalität. Und wenn man lange genug in Gesichter blickt, erkennt man etwas: Die Welt ist vielfältiger, als uns Algorithmen Glauben machen. Und menschlicher, als Nachrichten es oft zeigen.
Das Faszinierende daran ist: Fotografie verbindet. Sie schafft Begegnungen, die es ohne die Kamera nie gegeben hätte. Da sind Menschen, die mich ansprechen, weil sie die Fotos mögen. Andere, die sich herausputzen, weil sie fotografiert werden wollen. Manche, die so gar nicht fotografiert werden möchten – auch das respektiere ich. Und dazwischen sind jene, die einfach sie selbst sind. Geradeheraus. Ungefiltert. Ein Glücksfall.
Und hinter all dem steckt ein angenehmer Marketing-Gedanke: Fotografie ist im Grunde nichts anderes als emotionale Positionierung. Menschen zeigen sich, bewusst oder unbewusst. Sie senden Botschaften aus, kleine Claims ihrer Identität. Und ich fange sie ein. Nicht um sie zu verändern, sondern um sie zu verstehen.
Und ja, es ist ein Spiegel der Gesellschaft. Der Zeit. Auch der Mentalität – gerade, wenn man an Orten fotografiert, wo unterschiedliche Welten aufeinandertreffen. Da wird einem klar: Schönheit ist nicht das perfekte Licht oder die perfekte Pose. Schönheit ist Authentizität. Und Authentizität ist das, was uns im Leben oft fehlt. Vielleicht beruhigt mich die Fotografie deshalb so sehr – weil sie genau das zurückgibt, was man im Alltag manchmal verliert: Klarheit. Konzentration. Begegnung.
Und ich? Ich lerne durch die Fotografie verdammt viele interessante Menschen kennen. Menschen, die ich ohne die Kamera nie getroffen hätte. Menschen, die bleiben. Menschen, die vorbeiziehen. Menschen, deren Gesicht mir auch Wochen später noch einfällt.
Linsen beruhigen. Linsen verbinden. Und manchmal – ganz selten – zeigen sie einem auch etwas sehr Wichtiges: dass die Welt trotz allem noch voller echter Momente ist.
Ich sag, wie’s ist:
Genau das tut gut.



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