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„Play it as you find it“ – und was das mit mir zu tun hat.

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Heute musste ich über den Sport Golf nachdenken. Ja, ausgerechnet Golf.

Nicht weil ich plötzlich das Bedürfnis verspürt hätte, mir eine karierte Hose anzuziehen und mit Menschen Smalltalk zu führen, die „Handicap“ für eine Charaktereigenschaft halten.

Sondern weil ich irgendwo in den Socials ein Reel gesehen habe – und das hat mich erinnert, wie unfassbar viele Regeln dieser Sport hat.


Und noch viel mehr Etikette.

Und noch viel mehr unausgesprochene Etikette über der Etikette.


Und trotzdem gibt es eine Regel, die alles überstrahlt.

Die alles zusammenfasst.

Die eigentlich näher am echten Leben ist als jede Lebensberatung auf Instagram:


„Play it as you find it.“


Stammt vom Royal & Ancient Golf Club of St. Andrews, einer der obersten Regelinstanzen.

Und obwohl es für praktisch jede Lage irgendeine Sonderregel, Ausnahme oder Erleichterung gibt, bleibt am Ende immer dieser Satz:


Spiel den Ball so, wie du ihn vorfindest.

Keine Ausreden.

Keine Zuschreibungen.

Kein „Ja aber gestern war das Gras niedriger“ oder „Ich bin mir zu 87 % sicher, dass der Wind hier unfair weht.“


Der Ball liegt, wie er liegt.

Der Platz ist, wie er ist.

Und du bist, wer du bist – in genau diesem Moment.


Und plötzlich, je länger ich darüber nachgedacht habe, desto klarer wurde:

Das ist eigentlich eine fantastische Regel fürs Leben.

Denn im Leben liegt auch nicht jeder Ball perfekt auf dem Fairway.


Manchmal liegt er im Rough.

Manchmal liegt er im Sandbunker.

Manchmal hinter einem Baum, dessen Existenz man überhaupt nicht versteht, weil Bäume an der Stelle einfach eine Frechheit sind.


Und manchmal liegt der Ball zwar gut – aber man selbst nicht.

Und was machen wir Menschen dann oft?

Wir diskutieren.

Wir erklären.

Wir analysieren.

Wir reden uns ein, warum die Lage unfair ist, die Saison schwierig, die Umstände ungünstig, die anderen bevorzugt und der Platzwart vermutlich gegen uns persönlich eingestellt.


Kurz:

Wir machen alles, außer den Ball zu spielen.

Golf sagt: Nur weil’s schwer ist, darfst du trotzdem schlagen.

Im Leben sagen wir: Nur weil’s schwer ist, sollte es eigentlich leicht sein.


Golfer*innen wissen:

Schimpfen bringt gar nichts.

Meckern bringt noch weniger.

Und der Baum verschwindet nicht, nur weil du ihn ignorierst.


Im Leben glauben wir oft:

Wenn wir die Realität lange genug anzweifeln, wird sie sich schon anpassen.

(Spoiler: tut sie selten.)

„Play it as you find it“ heißt auch: Es muss nicht perfekt sein.

Menschen wollen perfekte Bedingungen.

Perfekte Tage.

Perfekte Beziehungen.

Perfekte Kollegen.

Perfekte Launen.

Perfekte Versionen von sich selbst.


Und dabei übersehen wir:

Das Leben funktioniert selten nach Wunsch – aber erstaunlich gut nach Improvisation.


Genau wie beim Golf.

Ein schlechter Schlag macht dich nicht zum schlechten Menschen.

Ein guter Schlag macht dich nicht zum Genie.

Alles, was zählt, ist der nächste Schlag.


Und dass du ihn überhaupt machst.

Und dann ist da noch dieser Punkt: Niemand hat den gleichen Ball.


Der eine startet auf dem Fairway.

Der andere im Wald.

Manche brauchen 7 Schläge, andere 2 – und niemand kann mit Sicherheit sagen, wer glücklicher ist.


Das Leben verteilt keine gleichen Chancen.

Aber es gibt jedem dieselbe Aufgabe:

Mach das Beste aus dem, wo du gerade stehst.


Nicht aus dem, wo du gerne stehen würdest.

Nicht aus dem, wo die anderen stehen.

Sondern aus deinem Fleck Erde, jetzt, genau so, wie du dort gelandet bist.


Vielleicht sollten wir alle ein kleines bisschen mehr Golf-Regeln im Alltag leben.


Nicht im Sinn von:

„Bitte Schweigen am Abschlag“

oder „Reparieren Sie Einschlaglöcher auf dem Grün“.


Sondern im Sinn von:

Schau hin, wie die Dinge sind.

Hör auf, dir zu wünschen, sie wären anders.


Und spiel trotzdem weiter.

Fehler inklusive.

Umwege inklusive.

Neue Chancen sowieso.


Und wenn ich so darüber nachdenke:

Ja, es gäbe da schon den einen oder anderen Schlag, (eher den einen) den ich gerne noch einmal machen würde.

Einen zweiten Anlauf.

Einen besseren Winkel.

Weniger Wind.

Mehr Ruhe.

Weniger Ego.

Mehr Gefühl.


Aber das Leben – im Gegensatz zu einem freundlichen Flightpartner oder einer lockeren Sonntagsrunde – hat für mich keinen Mulligan vorgesehen.

Keine zweite Chance für denselben Schlag.


Ich sag, wie’s ist.

Nur die Möglichkeit, den nächsten besser zu machen.



 
 
 

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